Bringt die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro mehr Gerechtigkeit?
Die Mindestlohndebatte gewinnt in den letzten Wochen wieder deutlich mehr an Fahrt. Der Grund ist, dass das Bundeskabinett eine Mindestlohnerhöhung von 10,45 Euro auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 auf den Weg gebracht – hierbei geht es der Regierung nach eigenen Angaben um mehr Gerechtigkeit am Arbeitsmarkt, weshalb diese Entscheidung außerhalb der Beschlussfassung durch die Mindestlohnkommission gefällt wurde. Dazu muss man wissen, dass es in Deutschland erst seit 2015 überhaupt eine Mindestlohngrenze gibt – sie lag damals bei 8,50 Euro brutto je Arbeitsstunde. Nach Aussagen der Regierung wurde damals bewusst eine auch im europäischen Vergleich relativ niedrige Grenze gewählt, um den Einstieg in diesen gesetzlichen Vorgabeprozess initial defensiv zu gestalten.
Gemäß dem geschaffenen Mindestlohngesetz wurde dann die weitere Lohnentwicklung durch die Mindestlohnkommission beschlossen, angelehnt an die allgemeine Tarifentwicklung in Deutschland. Es folgten somit mehrere Stufen bis zum kommenden Niveau von 10,45 Euro je Stunde ab 1. Juli 2022 – aktuell sind es noch 9,82 Euro. Neben diesem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt es noch verschiedene branchenspezifische Löhne. Doch warum wurden nun schon jetzt 12 Euro je Stunde ab dem 1. Oktober zusätzlich beschlossen?
Grundgesetz gibt grundlegenden Ansatz vor
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil betont, dass es eine zentrale Gerechtigkeitsanforderung im Sinne des Grundgesetzes sei, wenn eine Vollzeitbeschäftigung auch ausreichende Mittel zum Bestreiten des Lebensunterhaltes generiert. Der Arbeitnehmer sollte dann dabei nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein. Auch bei vergleichsweise niedrigem Lohn soll also eine Vollzeitstelle zumindest für ein entsprechendes Auskommen im Alltagsleben sorgen und die durchschnittlichen Kosten für Wohnung und Lebensunterhalt decken. Die immer weiter steigenden Kosten – gerade für Wohnen, Energie und Lebenshaltung - lassen jedoch die Frage aufkommen, ob dies im Niedriglohnbereich überhaupt möglich ist. Aktuell muss davon ausgegangen werden, dass eine Mindestlohn-Vollzeitstelle kaum für die Gestaltung eines durchschnittlichen Lebensunterhaltes ausreicht – und erst recht nicht für eine „armutsvermeidende“ Altersrente. Prominente Stimmen wie der ehemalige Chef der Gewerkschaft Verdi – Frank Bsirske – kritisieren schon lange, dass der Mindestlohn von Anfang an zu niedrig gewesen sei.
Wer soll von den bald geltenden 12 Euro je Stunde profitieren?
Laut der aktuellen Statistik gibt es derzeit ca. 6,2 Millionen Arbeitnehmer mit einem geringeren Stundensatz als 12 Euro. Ca. 111.000 Menschen sind auf die soziale Grundsicherung angewiesen, obwohl sie eine Vollzeitarbeitsstelle innehaben. Steigt der Mindestlohn auf 12 Euro, gelangt man rein rechnerisch auf 60 % des Bruttolohns – somit würden Vollzeitstelleninhaber finanziell bessergestellt als Menschen mit Sozialleistungsanspruch. Weitergehende Anpassungen des Stundensatzes sollen dann wieder laut den Empfehlungen der Mindestlohnkommission von statten gehen – die nächste Entscheidung der Kommission wird dann am 30. Juni 2023 erwartet. Die Arbeitgeber indes sind nicht zufrieden mit diesen Vorstößen des Kabinetts. Hier sind einige Vertreter der Ansicht, dass dieser „Staatslohn“ ein Affront gegen die Grundprinzipien der Wirtschaftsordnung ist und im Gegensatz zu einer Tarifautonomie steht. Es sei zudem anzuzweifeln, ob nach einer solchen staatlichen Einmischung überhaupt noch davon ausgegangen werden kann, dass eine Mindestlohnkommission die alleinigen Entscheidungen in Zukunft treffen wird oder ob nicht erneut die staatliche „Oberhand“ eingreift. Die Arbeitgeber fordern deshalb mehr Respekt vor bestehenden Tarifverträgen und ein späteres Inkrafttreten der beschlossenen Erhöhungen des Stundensatzes. Möglich seien dabei auch Übergangsfristen.
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